Immer wenn ich auf dem Neustädter Bahnhof noch etwas Zeit habe, trinke ich bei ihr am Kiosk einen Kaffee.
Ich kenne sie schon seit Jahren.
Eine ältere etwas füllige Frau, die immer freundlich und schnell bedient .
Zeit zum Plausch ist auch immer.
Dieses Mal fragt sie mich, ob das Rentenkonzept so durchgehen wird.
Wahrscheinlich und leider, sage ich, denn es wird für alle sehr teuer werden.
Das beeindruckt sie nicht sehr.
Sie hält dagegen, das in der Politik immer genug Geld verschleudert wird, worüber sich kaum jemand aufregt.
Sie wird im Herbst 63 Jahre alt, habe dann 45 Arbeitsjahre hinter sich-die nie einfach waren- und werde dann Rente beantragen.
Ich möchte mein Leben auch noch etwas genießen, sagt sie und fügt hinzu, dass ihre Freundin gerade mit 66 Jahren gestorben sei.
Dagegen gibt es kein Argument.
Außerdem sieht sie mich so entschlossen an, dass ich mir alle volkswirtschaftlichen Argumente dagegen verkneife.
Zumindest sage ich ihr das.
Aber, sage ich dann, was ihre Kinder wohl dazu sagen werden, wenn die Rentenbeiträge steigen und es später schmerzhafte Rentenreformen geben muss, die sie benachteiligen.
Sie durchschaut mich und lacht.
Ich glaube mein Sohn hat die gleichen Bedenken wie Sie, aber er ermuntert mich dazu und freut sich für mich, weil er weiß, wie schwer ich gearbeitet habe.
Mutter, sagt er, mach noch etwas aus deinem Leben !
Schau an, denke ich, auch Irrationales wird akzeptiert, wenn sich ein momentaner Vorteil
ergibt. Da gibt es zwischen Wählern und Politikern keinen Unterschied.
Da mein Zug gleich fährt ,verabschiede ich mich.
Drücken Sie mir die Daumen, dass die Rentenreform durchkommt, sagt sie lächelnd zum Abschied.
Dann bricht er mir, grinse ich zurück.
Charmant setzt sie dagegen, ich solle doch einfach einmal an sie denken.
Dazu habe ich während der Zugfahrt, durch die verschneite Schneelandschaft, auch genug Zeit.
45 Arbeitsjahre sind ja eine lange Zeit. Wer hat die schon?
Und wer sie hat, gehörte ganz bestimmt nicht zu den oberen Gehaltsklassen.
Immerhin haben sie schon zehn Jahre lang gearbeitet und in die Kassen eingezahlt, während sich mancher Student mit 28 Jahren, noch einmal vorgenommen hat zur Selbstverwirklichung noch ein neues Studium aufzunehmen.
Das meine ich jetzt ein wenig ironisch, aber wer über längere Arbeitsjahre nachdenkt, der muss auch über kürzere Ausbildungszeiten nachdenken, damit eher in das Rentensystem eingezahlt werden kann.
Jetzt wird das Leistungsvermögen der Älteren entdeckt, weil man sie braucht.
Aber was haben denn die Arbeitgeber getan um die Leistungspotenziale durch das Erwerbsleben hindurch so zu fördern ,das Risikofaktoren reduziert werden und die Leistungsfähigkeit auch im Alter erhalten bleibt ?
Ich bin im Großen gegen die Rente mit 63, aber der arbeitsamen Frau gönne ich sie.
Irrational !
Oder?
Heinz Eggert